Für ein lebenswertes Birstein?
von Frank Jermann
In Birstein gibt es seit Sommer 2020 eine Kontroverse: Eine „Bürgerinitiative für ein lebenswertes Birstein“ (BI) bekundet ihre Ablehnung eines 5G-Sendemastes. Der Birsteiner Bürgermeister Fabian Fehl hat sich in einem Interview zu dieser Kontroverse um den 5G-Ausbau im Ortsteil Kirchbracht geäussert.
Die Gemengelage ist brisant. Dem Bürgermeister wird — es ist unklar von wem — eine Klage wegen Völkermords angedroht, die Bürgerinitiative wirbt mit eher dubiosen Rednern auf ihrer Gründungsveranstaltung.
Hierzu habe ich meine Gedanken aufgeschrieben:
Wäre es nicht wunderbar?
Ja, wäre es nicht tatsächlich wunderbar, wenn es eine Initiative „für ein lebenswertes Birstein“ gäbe? Ich meine: Eine Initiative, die sich nicht am eigenen Vorgarten, am eigenen Vorteil, an einem Einzelthema orientiert — sondern tatsächlich am Wohl der gesamten kleinen Gesellschaft in unserer Gemeinde?
Was ich hier allerdings erkenne ist etwas völlig anderes. „Not in my backyard“ ist die neudeutsche Formulierung für das altbekannte Sankt-Florian-Prinzip. Die BI hat nichts gegen 5G, wie sie in ihrem Flyer schreibt — aber sie hat ganz speziell etwas gegen Funkmasten in der Nähe ihrer AktivistInnen.
Argumente? Daumen nach unten!
Nun darf man in unserem Land glücklicherweise eine solche ablehnende Position vertreten. Ob der Ansatz „für Birstein“ aber zieht, wenn es doch recht deutlich lediglich um die persönlichen Interessen einer kleinen Gruppe geht?
Nun, wenn das Anliegen der BI ernst genommen werden will, dann müssen einige grundlegende Punkte einer Überprüfung standhalten:
- Da ist zuerst die Frage nach den Argumenten. Hat die Bürgerinitiative welche?
- Dann ist zu klären, ob mögliche Argumente einer Überprüfung standhalten.
- Nicht zuletzt muss danach gefragt werden, ob in der BI der Wille vorhanden ist, sich einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit gegenteiligen Positionen zu stellen.
Eine Betrachtung dieser Punkte führt zu einem bedenklichen Ergebnis. Die von der Bürgerinitiative bemühte Naila-Studie wurde bereits vor Jahren mit konkreter Argumentation als nicht ausreichend eingestuft. Fabian Fehl hat in dem Interview (siehe: grauer Kasten) bereits darauf hingewiesen.
Diese Studie wird von der BI als Kern-Argument benutzt. Damit ist der Punkt 1. zwar mit Inhalt versehen (ja, es gibt Argumente), aufgrund der bekannten Schwäche der Naila-Studie muss die Anforderung unter Punkt 2. als nicht erfüllt eingestuft werden: Das Argument der BI hält einer Überprüfung nicht stand.
Fabian Fehls Interview vom 7. August 2020
- Wenn man dort ein Konto hat, kann man das Interview bei Facebook lesen.
- Die GNZ hat das Interview online veröffentlicht.
Nun wird der Punkt 3. wichtig:
Diskutieren wir es aus!
Das geschieht bedauerlicherweise nicht. Die BI nimmt keine Positionierung zu den deutlich begründeten Zweifeln an der Naila-Studie vor und verspielt damit bereits den Ansatz, dass man das vorgebrachte Argument fachlich ernst nehmen kann.
Ich hatte bei der BI im Vorfeld der Veranstaltung konkret nachgefragt hinsichtlich der Naila-Studie. Es kam keine Antwort — ausser einem „Daumen nach unten“. Im alten Rom entschied man so über das Schicksal von Menschen …
Die BI weicht einer inhaltlichen Auseinandersetzung aus. Ein ernsthafter, erwachsener Diskurs sieht anders aus.
Mit wem man sich umgibt
Auch hierzu hat sich Fabian Fehl in dem oben verlinkten Interview bereits geäussert — in sehr vorsichtiger Weise. Ich möchte das ein wenig deutlicher versuchen.
Dr. Stefan Gäth:
Ein strafrechtlich Verurteilter in Sachen Umwelt — als Umweltexperte?
Dr. Stefan Gäth von der Universität Giessen war einer der Redner auf der Veranstaltung der BI. Dieser Mann war in den in Hessen bestens bekannten Woolrec-Skandal verwickelt.
Er war als Gutachter für das Unternehmen Woolrec tätig. Das Landgericht Giessen verurteilte ihn wegen des unerlaubten Umgangs mit gefährlichen Abfällen und der Beihilfe im Oktober 2019 zu einer hohen Geldstrafe. Ob gegen dieses Urteil Rechtsmittel eingelegt wurde, ist für mich nicht ersichtlich. (Quelle: siehe Kasten).
Es ist in höchstem Masse zweifelhaft, ob Dr. Gäth, dessen gutachtliche Prüfungsverfahren in Sachen Woolrec laut Gericht „schlicht unzulänglich und unzuverlässig“ waren, als Kämpfer für eine bessere (Um-)Welt eine vertrauenswürdige Instanz ist. Im Woolrec-Fall wurde jedenfalls ein völlig anderes Bild deutlich: Es ging ihm — folgt man dem Gericht und den Medienberichten — um seinen eigenen finanziellen Vorteil. Eine Gesundheitsgefährdung für die Bevölkerung war ihm gleichgültig.
Wenn die Birsteiner Bürgerinitiative mit solchen „Experten“ aufwartet, dann mangelt es ihr zumindest an Fingerspitzengefühl — vielleicht aber auch an ganz anderen Dingen.
Auf meine Nachfrage bei der BI, ob man sich bewusst sei, wen man da eingeladen hatte, kam übrigens keine Antwort.
Dr. med. Anton Salat:
Esoterische Argumente gegen 5G?
Dr. med. Anton Salat war von der BI als weiterer Redner angekündigt. Dr. Salat wird der esoterischen Ecke zugeordnet und ist als Anhänger einer Gruppe bekannt, die eher wenig mit klassischer Wissenschaft in Zusammenhang zu bringen ist (Quelle: siehe Kasten).
Nun kann man ja durchaus AnhängerIn esoterischer Ansichten sein, keine Frage. Und wir alle wissen, dass es da mehr gibt, als unsere Schulweisheit …
Quellen
Dr. Stefan Gäth
Dr. Gäth spielte im sogenannten Woolrec-Skandal eine bedeutende Rolle. Hier sind einige Quellen dazu gelistet:
- Online nachzulesen bei der Giessener Allgemeine: Artikel vom 24.20.2019
- Eine Suche nach „Woolrec“ auf hessenschau.de ergibt diverse Videos zum Fall: zu den Suchergebnissen
- Viele andere Medien berichteten ebenfalls ausführlich über den Fall. Die Suche bei Google ist hilfreich.
Quellen
Dr. med. Anton Salat
Dr. Salat ist ein aktives Mitglied des Vereins für Implosionsforschung und Anwendung e. V. und dort laut Website für Seminare und Tagungsleitung zuständig. Inhaltlich beschäftigt sich der Verein mit den Lehren von
Viktor Schauberger.
Dies Geschichte Schaubergers bei Wikipedia liest sich wie eine spannende utopische Beschreibung eines — Phantasten. Die esoterische Welt hat ihn entdeckt — ebenso diverse esoterisch anmutende Online-Shops, die teure Geräte (zum Beispiel „Wasserwirbler“) zur Verbesserung von Wasser anbieten.
Esoterik statt Fakten?
Es wäre aber nicht nur transparenter, sondern auch ehrlich, wenn man Ross und Reiter nennen würde: Die Naila-Studie wird von der BI zu Unrecht als wissenschaftliche Grundlage gegen 5G angeführt — zweifelhafte Personen und esoterische Ansätze sollen dann einen weiteren „argumentativen“ Unterbau bilden.
Gleichzeitig beklagt man seitens der BI, dass die Medien angeblich nicht oder nicht ausreichend informieren (was sich schon nach kurzer Recherche als falsch erweist). Selbst aber bietet man nicht mehr als zweifelhafte Quellen. Wen will man damit für dumm verkaufen?
der Bürgermeister Fingerspitzengefühl?
Tja, und dann war da ja noch die ihm angedrohte Strafanzeige wegen Beihilfe zum Völkermord, die Fabian Fehl auf Facebook veröffentlichte (nachzulesen auf Facebook unter diesem Link). Auch dabei geht es um den Mobilfunkausbau in Kirchbracht.
Wenn sich nun eine Bürgerinitiative formiert, die den Mobilfunkausbau in Kirchbracht zum Thema hat, dann wäre es angemessen, sich ein wenig um das Umfeld zu kümmern. Konkret: Wie steht die BI zu einem solchen Vorwurf wegen Völkermords? Selbst, wenn das nicht aus ihren Reihen gekommen sein muss — eine Stellungnahme dazu stünde einer Initiative gut an. Ansonsten bleibt der Makel haften, dass diejenigen, die ein „lebenswertes Birstein“ möchten, den öffentlichen Vorwurf eines Völkermords als Teil ihrer „lebenswerten“ Neuausrichtung zulassen.
Es war zu erwarten: Es gab und gibt keine Positionierung der BI zu diesem Thema. Nun muss man daraus nicht zwingend schliessen, dass die BI eine solche Strafanzeige gegen Bürgermeister Fehl als richtig erachtet — aber das Gegenteil kann ebenfalls nicht vorausgesetzt werden.
Was hält die Initiatoren der BI davon ab, diese Bürgerinitiative so zu gestalten, dass sie nicht in den Verdacht gerät, mit eher dubiosen Kräften zusammen zu arbeiten? Oder steht sie hinter der abstrusen Konstruktion, dass hier tatsächlich ein „Völkermord“ vorliegt und der Birsteiner Bürgermeister Fabian Fehl dafür eine Mitschuld trägt?
Die Folgen
Menschen, mit denen ich seit Jahren gut bekannt oder vielleicht sogar befreundet war, blockieren ihre Inhalte auf Facebook für mich — offenbar, weil ich kritisch nachgefragt habe. Eine inhaltliche Auseinandersetzung ist nicht gewünscht.
Dabei wissen die Verantwortlichen der BI: Ich habe nichts übrig für den 5G-Ausbau. Allerdings habe ich andere Gründe. Ich schätze beispielsweise die Ruhe und Abgeschiedenheit unserer Gegend, die auch durch die stets präsente Mobiltelefoniereritis und die immerwährende Erreichbarkeit verloren gehen.
5G ist als Instrument zur Förderung der Wirtschaft in urbanen Räumen möglicherweise gut geeignet. Die Technologie wird unsere ländliche Region allerdings eher belasten und das, was sie in grossen Teilen noch einzigartig macht, wird weiter verloren gehen.
Ich stünde also „eigentlich“ an der Seite dieser Initiative — passe aber mit meinem Ansatz nicht in deren Weltbild.
Die „Bürgerinitiative für ein lebenswertes Birstein“ stellt sich so als kleiner Zirkel dar, der dubiose „Argumente“ in den Ring wirft, eine Diskussion aber offenbar scheut und Andersdenkende nicht nur ausschliesst, sondern sogar deren Bedrohung mit abstrusen Vorwürfen toleriert.
Mein Eindruck ist: Ein „lebenswertes Birstein“ wird man nicht erreichen, indem man so agiert, wie es die BI gerade macht. Lebenswert wäre eine diverse Gesellschaft, in der sich die BürgerInnen gegenüber anderen verantwortungsvoll verhalten — und nicht ausgrenzend.
Die Folgen:
Ist das so gewollt?
Diese Menschen, mit denen ich seit Jahren gut bekannt oder vielleicht sogar befreundet war, blockieren ihre Inhalte auf Facebook für mich — offenbar, weil ich kritisch nachgefragt habe. Eine inhaltliche Auseinandersetzung ist nicht gewünscht.
Dabei wissen die Verantwortlichen der BI: Ich habe nichts übrig für den 5G-Ausbau. Allerdings habe ich andere Gründe. Ich schätze beispielsweise die Ruhe und Abgeschiedenheit unserer Gegend, die durch die stets präsente Mobiltelefoniereritis und die immerwährende Erreichbarkeit verloren gehen.
5G ist als Instrument zur Förderung der Wirtschaft in urbanen Räumen möglicherweise gut geeignet. Diese Technologie wird unsere ländliche Region allerdings eher belasten und das, was sie in grossen Teilen noch einzigartig macht, wird weiter verloren gehen.
Ich stünde also „eigentlich“ an der Seite dieser Initiative — passe aber mit meinem Ansatz nicht in deren Weltbild.
Die „Bürgerinitiative für ein lebenswertes Birstein“ stellt sich so als kleiner Zirkel dar, der dubiose „Argumente“ in den Ring wirft, eine Diskussion aber offenbar scheut und Andersdenkende nicht nur ausschliesst, sondern sogar deren Bedrohung mit abstrusen Vorwürfen toleriert.
Mein Eindruck
„Lebenswert“ wäre eine diverse Gesellschaft, in der sich die BürgerInnen gegenüber anderen verantwortungsvoll verhalten. Dazu gehören so grundsätzliche Dinge wie Transparenz, Offenheit und Gesprächsbereitschaft.
In all diesen Punkten mangelt es bei der BI allerdings mächtig. Ein „lebenswertes Birstein“ wird man nicht erreichen, indem man so agiert, wie es die BI bisher macht.
Warum dieses Thema?
Die gesellschaftliche Entwicklung in einer so kleinen Gemeinde wie Birstein ist nicht nur spannend — sie ist auch manchmal frustrierend. Viele Menschen klagen über die Verhältnisse, über den Filz, über die Hinterzimmer-Mentalität. Zu Recht!
Fragt man aber nach, ob sie bereit wären, daran etwas zu ändern, dann gibt es nicht mehr als ein resigniertes Abwinken. Wenn wir es also nicht ändern können, dann halte ich ein Aufschreiben für das Naheliegendste.
So werden die Dinge wenigstens festgehalten — und bewirken vielleicht in der Zeit nach uns etwas. Eventuell können Sie an dieser Stelle etwas dazu beitragen? Der Kommentarbereich ist offen.
Frank Jermann
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